Die Anbindehaltung von Rindern ist bislang nicht verboten. Die Veterinärbehörden tolerieren sie allerdings wegen der allgemeinen, also bereits geltenden Anforderungen des Tierschutzgesetzes nur noch, wenn den angebundenen Rindern ausreichend freie Bewegung ermöglicht wird. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil des VG Münster zu sehen, dass dieses in Sachen 4 K 2151/19 am 03.02.2022 verkündet hat.
Streitgegenstand in jener Sache ist eine Anordnung des Veterinäramtes des Kreises Borken in NRW aus dem August 2019. Mit jenem Bescheid gab das Veterinäramt einem Landwirt auf, seinen in Anbindehaltung untergebrachten Rindern zumindest im Zeitraum vom 01.06. bis 30.09. eines jeden Jahres täglich für zumindest zwei Stunden freien Auslauf auf einer Weide, in einem Paddock, einem Laufhof oder etwas Vergleichbarem zu gewähren. Zur Begründung dieser Ordnungsverfügung führte die Behörde im Wesentlichen an, die vom Kläger praktizierte Anbindehaltung seiner Rinder lasse sich mit den Geboten der verhaltensgerechten Unterbringung und der artgemäßen Bewegung nicht vereinbaren. Demgegenüber machte der Kläger unter anderem geltend: Ein Auslauf für die Rinder sei nicht erforderlich, weil die Tiere einen Außenstall hätten. Das Verbot der Anbindehaltung sei rechtswidrig. Die Anbindehaltung sei im Tierschutzgesetz nicht untersagt. Auch hätten sich bayerische Bauernverbände gegen ein Verbot der Anbindehaltung ausgesprochen.
Dieser Argumentation folgte das Gericht jedoch nicht. In den Entscheidungsgründen des Urteils führt das Gericht unter anderem aus: Es treffe zu, dass die Anbindehaltung von Rindern vom Gesetzgeber bislang nicht verboten worden sei. Das ändere jedoch nichts daran, dass die Anbindehaltung den allgemeinen Anforderungen des Tierschutzgesetzes genügen müsse und die vom Kläger praktizierte ganzjährige Anbindehaltung hiergegen verstoße. Sie führe zu einer deutlichen Einschränkung artgerechter Verhaltensweisen der Rinder. Sofern angeborene, arteigene und essentielle Verhaltensweisen anhaltend und erheblich eingeschränkt würden, sei davon auszugehen, dass dies auch mit erheblichem Leiden verbunden sei. Zurzeit noch bestehende Anbindehaltungen seien nur unter der Bedingung im Rahmen einer Übergangsfrist zu tolerieren, wenn den angebundenen Rindern täglich freie Bewegung durch Weidegang oder in einem Laufhof für mindestens zwei Stunden ermöglicht werde. Ausnahmen vom Erfordernis eines täglichen Auslaufs für Rinder in Anbindehaltung kämen nach den für Niedersachsen veröffentlichten Tierschutzleitlinien für die Milchkuh- sowie Mastrinderhaltung bei einer beengten Dorflage und – vorübergehend – bei extremen Witterungsbedingungen in Betracht. Der landwirtschaftliche Hof des Klägers liege jedoch nicht in einer beengten Dorflage und es gehe ihm auch nicht um Ausnahmen bei extremen Witterungsbedingungen. Die vom Kläger geäußerten Zweifel an der Berücksichtigung der niedersächsischen Tierschutzleitlinien griffen nicht durch. Die Leitlinien enthielten sachverständige Aussagen und könnten dementsprechend auch in Nordrhein-Westfalen als sogenannte antizipierte Sachverständigengutachten zur Auslegung der allgemeinen Anforderungen des Tierschutzgesetzes herangezogen werden. Zweifel an der inhaltlichen Aussagekraft der Leitlinien bestünden nicht. Soweit der Kläger auf Stellungnahmen süddeutscher Bauernverbände zur ganzjährigen Anbindehaltung verweise, handele es sich um Stellungnahmen von Interessenvertretungen, die schon deshalb nicht aussagekräftig seien, weil sie sich nicht näher mit den sachverständigen Aussagen in den Leitlinien auseinandersetzten.