Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 21.01.2022 (V ZR 76/20) ein Urteil verkündet, das seit wenigen Tagen in Schriftform vorliegt und für die Landwirtschaft von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Der vom BGH entschiedene Fall spielt in Baden-Württemberg. Die Hofstelle des beklagten Landwirts, die seit Generationen in der Familie genutzt wird, liegt zu ihrem ganz überwiegenden Teil in einem faktischen Dorfgebiet. An dieses Dorfgebiet hat die Gemeinde – durch Aufstellung eines Bebauungsplans – Wohnbebauung heranrücken lassen. 2007 errichtete der Landwirt auf der Hofstelle – überwiegend in dem faktischen Dorfgebiet, teilweise übergebaut in das festgesetzte Wohngebiet – eine Halle, in der er Getreide zwischenlagert. Für diesen Zweck fährt der Beklagte selbst mit landwirtschaftlichem Gerät, fahren aber auch Lieferfahrzeuge und Sattelschlepper die Getreidehalle über einen öffentlich gewidmeten Weg an. Längs dieses Weges haben die beiden Kläger auf Grundstücken, die im Bebauungsplangebiet gelegen sind, Wohnhäuser errichtet. Sie fühlen sich durch die Nutzung der Getreidehalle, insbesondere auch den Zu- und Abfahrtsverkehr, im Übrigen auch durch einen betriebsbezogenen Lagerplatz auf der Hofstelle (auf welchem der Landwirt Holz, Futtermittel, Kunststofftanks und andere Materialien unterbringt) gestört. Der Landwirt beruft sich wegen der Getreidehalle auf die ihm erteilte Baugenehmigung, die von den Nachbarn nicht angegriffen worden sei. Diese regele auch ausdrücklich die Einhaltung bestimmter Lärmgrenzwerte und sei – wegen der Überbauung in das Plangebiet – gerade auch unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt.
Die Nachbarn erhoben daraufhin Klage, mit der sie vor dem Landgericht zunächst in Gänze scheiterten. Auf die von den Klägern eingelegte Berufung untersagte das Oberlandesgericht (OLG) die Nutzung des Lagerplatzes, vor allem aber auch der Getreideübergabehalle. Dabei stützte sich das OLG maßgeblich auf die Überlegung, dass die Überbauung der Getreidehalle in das Wohngebiet den sog. Gebietserhaltungsanspruch der Nachbarn verletze. In der Revisionsinstanz, also vor dem BGH, erzielt der Kläger nun mit dem eingangs erwähnten Urteil einen ganz wesentlichen Erfolg. Er wendet die Nutzungsuntersagung wegen der Getreidehalle ab. Insoweit entscheidet der BGH grundlegend: Ist ein Bauvorhaben bestandskräftig genehmigt, können Nachbarn zivilrechtliche Unterlassungsansprüche nicht auf die Verletzung von Vorschriften stützen, die bei der Erteilung der Baugenehmigung zu prüfen waren. Insbesondere dürften die Zivilgerichte nicht den zum öffentlichen Recht zählenden „Gebietserhaltungsanspruch“ prüfen, wenn das Vorhaben unanfechtbar genehmigt ist. Insoweit (Getreidehallennutzung) entscheidet der BGH auch abschließend im Sinne des Landwirts. Offen lässt er allein, ob die dem Landwirt erteilte Baugenehmigung auch den betriebsbezogenen Lagerplatz, also die Lagerung von Betriebsmitteln außerhalb der Getreidehalle, mit umfasst. Das müsse das OLG – so der BGH – aufklären. Sei diese Lagernutzung ebenfalls bestandskräftig genehmigt, unterliege die Klage der Nachbarn auch insoweit der Abweisung. Sollten die Lagernutzungen nicht genehmigt sein, müsse das OLG entscheiden, ob die Nachbarn dadurch so beeinträchtigt werden, dass ihnen ein Abwehranspruch zusteht.
Die grundlegende Erkenntnis aus diesem Urteil des BGH ist: Ist eine Baugenehmigung unanfechtbar erteilt, kann ein Nachbar sie nicht unterlaufen, indem er einen Zivilrechtsstreit gegen den Landwirt beginnt.