Das Landgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 20.01.2022 die Sammelklage etlicher Sägewerke gegen das Land Baden-Württemberg auf Zahlung von Kartellschadenersatz in Höhe von rund 450 Millionen Euro (einschließlich Zinsen) abgewiesen (Az. 30 O 176/19).
In den Jahren 1978 bis 2016 vermarktete das Land Baden-Württemberg, gebündelt mit dem Verkauf von Rundholz aus dem landeseigenen Staatswald, auch Rundholz aus Wäldern, die im Eigentum baden-württembergischer Kommunen oder Privater standen. Diese Vermarktungspraxis war Gegenstand eines beim Bundeskartellamt geführten Kartellverfahrens. 2008 hatte sich das Land Baden-Württemberg mit dem Bundeskartellamt darauf geeinigt, den gebündelten Rundholzverkauf für größere Forstbetriebe einzustellen (Beschluss vom 9. Dezember 2008 – B2-90/01-4). Das 2012 vom Bundeskartellamt wiederaufgenommene Verfahren endete aus formalen Gründen ohne Entscheidung darüber, ob die gebündelte Rundholzvermarktung rechtlich zulässig oder aber kartellrechtswidrig ist (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 2018 – KVR 38/17 – RdL 2018, 301).
Im Zusammenhang mit dieser Holzvermarktungspraxis haben 95 Sägewerke Klage erhoben. Sie sind der Auffassung, dass die kartellrechtswidrige Holzvermarktung des Landes für die in der Sägeindustrie tätigen Unternehmen deutlich überhöhte Einkaufspreise zur Folge gehabt habe. Für hieraus entstände Schäden hafte das Land Baden-Württemberg.
Klägerin ist eine GmbH, die ausschließlich zum Führen des hiesigen Verfahrens gegründet wurde. Sie ist Teil eines börsennotierten US-Amerikanischen Konzerns, der auf die Prozessfinanzierung spezialisiert ist. Für die Durchsetzung ähnlicher Ansprüche betreffend die Länder Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Thüringen gibt es in dem Konzern vergleichbare Gesellschaften. In dem nun vom LG Stuttgart entschiedenen Fall hat sich die Klägerin Schadenersatzansprüche von insgesamt 36 Betrieben verschiedener Größenordnung – vom Einzelkaufmann bis zur Aktiengesellschaft – im Zusammenhang mit Rundholzbezügen aus Baden-Württemberg in den Jahren 1978 bis 2016 abtreten lassen („Sammelklage-Inkasso“).
Das beklagte Land Baden-Württemberg hält seine damalige Vermarktungspraxis für rechtlich zulässig. Insbesondere habe diese nicht zu einem höheren Preis geführt. Vielmehr wäre ohne den gebündelten Rundholzverkauf der Preis gestiegen.
Das LG Stuttgart hat die Klage abgewiesen. Das „Sammelklage-Inkasso“ im Bereich des Kartellrechts sei wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz unzulässig. Die vorliegende Abtretung der Ansprüche von den Sägewerken auf die Klägerin sei deshalb unwirksam. Mithin sei die Klägerin schon gar nicht Inhaberin etwaiger kartellrechtlicher Schadenersatzansprüche der Sägewerke gegenüber dem beklagten Land geworden und deshalb nicht dazu berechtigt, die vor-liegende Klage zu führen. Das „Sammelklage-Inkasso“ verstoße bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche gegen §§ 3, 2 Abs. 1 RDG in Verbindung mit § 10 Abs. 1, § 2 Abs. 2, § 11 Abs. 1 RDG.
Eine Rechtsdienstleistung sei nur dann zulässig, wenn der Dienstleistungserbringer im Rechtsdienstleistungsregister eingetragen sei und sich seine Tätigkeit im Rahmen der erteilten Inkassobefugnis halte. Er überschreite diese, wenn er im Bereich des Kartellrechts tätig werde. Zwar sei die Klägerin vorliegend als Inkassodienstleisterin im Rechtsdienstleistungsregister eingetragen. Mit dem vorliegenden Abtretungsmodell und der Sammelklage erbringe die Klägerin im Streitfall aber keine zulässige Inkassodienstleistung. Vielmehr biete sie damit Rechtsdienstleistungen auf dem Gebiet des Kartellrechts an. Sowohl die Rechtsfragen als auch die jeweils zu beurteilenden Sachverhalte seien im Kartellschadensersatzrecht aber wesentlich komplexer als bei einer üblichen Inkassodienstleistung. So seien regelmäßig unter anderem umfassende ökonomische und ökonometrische Feststellungen zum Marktgeschehen auf verschiedenen Märkten und Marktstufen und dem Einfluss des behaupteten Kartells hierauf zu treffen. Damit überschreite die als Inkassodienstleiterin registrierte Klägerin vorliegend die ihr erteilte Rechtsdienstleistungserlaubnis. Mithin verfüge die Klägerin im Streitfall nicht über die erforderliche Erlaubnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz.
Die Tätigkeit der Klägerin verstoße zudem gegen § 4 des Rechtsdienstleistungsgesetzes. Im Streitfall bestünden Interessenskonflikte, die die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung ggü. den Sägewerken gefährdeten. Solche Rechtsdienstleistungen seien nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz aber untersagt.
Die vorliegende massenhafte Bündelung der Ansprüche zahlreicher Sägewerke sei geeignet, die Pflicht der Klägerin zur bestmöglichen Rechtsdurchsetzung gegenüber jedem einzelnen Sägewerk zu beeinträchtigen. Denn die Erfolgsaussichten der Ansprüche der verschiedenen Sägewerke würden sich unterscheiden. Beispielsweise seien einzelne Verträge zur Forderungsübertragung streitig. Streitpunkte, die aber nur einzelne Sägewerke beträfen, zögen den Rechtsstreit dagegen für alle insgesamt in die Länge.
Außerdem habe die Klägerin als Tochtergesellschaft des Prozessfinanzierungskonzerns diesem gegenüber eine Treuepflicht und müsse dessen Weisungen Folge leisten auch wenn diese den Interessen der Sägewerke zuwiderliefen. Zudem sei die Klägerin, die nur über ein Stammkapital von 25.000 Euro verfüge, von ihrer Muttergesellschaft als Kapitalgeberin abhängig. Auch dies begründe die Gefahr sachfremder Entscheidungskriterien zu Lasten der Sägewerke.
Schließlich gefährde auch die zwischen der Klägerin und den Sägewerken vereinbarte Vergütung die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung für die Sägewerke. Das Vergütungsmodell setze Anreize für eine kostenintensive Prozessführung zu Lasten der Sägewerke.